1.2.05

Warum bist du Schauspieler geworden

Kristin Flade: Warum bist du Schauspieler geworden?

Ahmad Mesgarha: Ich glaube, dass man Schauspieler wird, ohne sich das vorzunehmen. Das ist ein Prozess, der unweigerlich in dir entsteht Und das merkt man daran, dass man gerne erzählt bzw. dass Leute dir gerne zuhören. Aber komischerweise habe ich im Literaturunterricht, wenn es um Gedichte ging, nie die große Freude gehabt. Mit dem ”Zauberlehrling” habe ich dann zum ersten Mal ein Gedicht in der Hand gehabt, bei dem ich gemerkt habe, was man mit Literatur alles machen kann. Durch Kulturgruppeneinrichtungen und Laienspielorganisationen kam es zu einem Gefühl, als ob man sich verliebt und an der Liebe nicht vorbeigehen kann. Alles was mit Theater und Spiel zu tun hatte, da blieb ich hängen und kleben, bis es dann immer mehr Leute gab, die sagten, du musst den Beruf machen. Somit ist das ein Prozess, den ich als unspektakulär und zwangsläufig bezeichnen würde.

K.F.: Hast du irgendwann mal gedacht, dass es der falsche Weg war? Wolltest du irgendwann mal umdrehen, um etwas völlig anderes zu machen?

A.M.: Das denke ich sehr oft. Aber das sind Situationen während der Arbeit, wo ich denke, die Mittelmäßigkeit hat mich geheiratet. Die Höhenflüge, die ich mir mit dieser Figur ausgemalt hatte, werde ich weitgehend nicht erreichen, ich habe mir zuviel vorgenommen. Dann gibt es Tage, da erschaudere ich selbst, wie gelassen und mit  welcher Leichtigkeit  ich manche Klippen überspringe. Aber es gibt eben auch Phasen im Leben, wo der Körper die Leichtigkeit nicht so herstellt. Und das sind Momente, wo ich an diesem Beruf verzweifle, wo ich denke, der Beruf ist schneller als ich und ich komme nicht hinterher. Vom Schauspielern reden viele, aber es jeden Abendauszuüben, das ist die eigentliche Herausforderung. Ob du gut drauf bist oder ob du Sorgen hast, das interessiert keinen Menschen, der im Saal sitzt und mit Verlaub, das ist auch richtig so.

K.F.: Man könnte sagen, dass du jemand bist der’s geschafft hat. Denkst du das auch selber? Bist du zufrieden mit dem, was du erreicht hast?

A.M.: Momentan ist das ein wunderbarer Stand, den zu verteidigen sehr viel Kraftaufwand bedeutet. Ich spiele, viele, sehr viele Stücke und Rollen. Ich gehe früh zur Probe und fast jeden Abend zu einer jeweils anderen Vorstellung. Ich möchte, dass die Menschen, die ins Theater gehen, sich auf mich verlassen können. Das ist mein Steckenpferd. Ich habe irgendwann begriffen, dass jeder für sein Glück selbst verantwortlich ist. Das ist aber auch eine Art Lebenserkenntnis, die man in der Mitte seines Lebens bekommt. 

K.F.: Wird man von den Erfahrungen der Figuren, die man gespielt hat, auch an eigenen reicher?

A.M.: Während ich gewisse Sachen probiere, merke ich, dass diese sich auf mein Leben überlagern. Ich lerne von meinen Rollen fürs Leben und vom Leben für meine Rollen.

K.F.: Musst du jedes Erlebnis, was deine Figur hat, auch selbst erlebt haben?

A.M.: Es gibt ein sehr schönes Zitat, das heißt: ”Achtet auf eure Gedanken.”, denn alles, was in deinem Kopf stattfindet, ist auch Realität. Was du denkst, ist eigentlich schon die Tat, das heißt, man kann nicht alle Handlungen der darzustellenden Figuren schon erlebt haben, wie z.B. Mord, den ich zwar noch nicht vollzogen, aber im Ansatz durchdacht habe.

K.F.: Gibt es eine Rolle, die du irgendwann mal gespielt haben willst?

A.M.: Meistens ist es ja so: Du träumst von einer Rolle x und sie ist beim Probieren die Hölle und du bekommst die Rolle y angeboten, kannst im ersten Moment gar nichts mit ihr anfangen und beim Probieren öffnen sich dir Welten.

K.F.: Woran probierst du denn momentan?

A.M.: An ”Der Mann ohne Vergangenheit”, eigentlich ein Film von Aki Kaurismäki, mit dessen Uraufführung das Kleine Haus eröffnet wird. Ich spiele einen Mann, der mit seinem Leben in eine Sackgasse geraten ist und dem nach einer Schlägerei sein gesamtes Bewusstsein genommen wird. – Wer er ist, wer er war, wohin er wollte. So versucht er, mit den Instinkten, die ihm geblieben sind, die Welt ein zweites Mal zu begreifen. Er verliebt sich, sucht Arbeit, Wohnung, Freunde. So wie auch früher, aber einzig die Liebe zu Irma signalisiert Freiheit und Hoffnung. 

K.F.: Gibt es einen Regisseur, mit dem du gern mal zusammen arbeiten willst?

A.M.: Ich bin seit 14 Jahren am Schauspielhaus engagiert und kann sagen, dass meine Arbeit durch Kontinuität gekennzeichnet ist. Es gab und gibt Regisseure, die mich immer wieder besetzen und somit ein Vertrauensverhältnis aufbauen, mit dem ich wunderbar leben kann. Ich liebe das Vertraute. In Vertrautheit kann ich mich frei bewegen und bin eher bereit etwas zu riskieren als in der Fremde.  

K.F.: Wie bereitest du dich auf deine Rollen vor?

A.M.: Ich gehe große Rollen einen Tag vorher Wort für Wort durch, überschaubare Rollen wärmen sich auch gut auf dem Fahrrad auf. Ich habe Rituale: der Schwatz in der Maske, die Zigarette davor, der Blick hinter die Bühne, das murmeln der ersten Zuschauer, Kontrolle der Requisiten, blöde Späße mit dem Inspizienten und dem Feuerwehrmann, noch mal aufs Klo, noch mal ins Textbuch geguckt … , die ersten Sätze sind immer die entscheidenden, unvorstellbar würden mir die Worte fehlen … , wo ist die Souffleuse? Ich habe vergessen, ihr Guten Abend zu sagen … Ich hänge ungern.

K.F.: Das Kleine Haus wird neu eröffnet. Was verbindest du damit?

A.M.: Du musst in Deutschland erst mal einen Ort finden, an dem ein Theater mit einem solchen Aufwand wieder aufgebaut wird. Das ist etwas Einzigartiges und ich betrachte es als eine große Ehre dieses Haus ”entjungfern” zu dürfen. Viele Schauspieler, die hier gespielt haben, verbindet eine romantische Liebe zu dieser Bühne. Im Kleinen Haus kann man Nuancen ausspielen, die das Große Haus mit seiner fehlenden Intimität nicht bietet. Mit dem Kleinen Haus haben wir eine neue Chance bekommen.

K.F.: Vielen Dank für das Interview!

"Abgeschminkt" Dezember 2005