Bei der Entwicklung einer Theaterfigur, einer "Rolle", ist es manchmal hilfreich seine Gedanken aufzuschreiben. So bekommen die Bilder, die man nur wage im Kopf hat, eine Kontur. Während der Stückentwicklung für die neue Uraufführung von Franz Wittenbrinks Lobbyisten schrieb ich die folgende Biografie in mein kleines rotes Notizbuch:
Mein Name ist: Lutz – Uwe Kleinert.
Ich bin 46 Jahre und habe einen leichten, meist stark riechenden Achselschweiß dessen stechenden Geruch ich nicht mehr wahrnehme. Wohl aber die Anderen. Meine Fingerkuppen sind an ihren Spitzen von einer braun gelben Oberfläche und unter den Fingernägeln, die zu lang sind, bildet sich eine Masse, deren Inhalt mir egal ist, die ich nicht beachte, denn es geht mir um die Sache.
Ich bin 46 Jahre und habe einen leichten, meist stark riechenden Achselschweiß dessen stechenden Geruch ich nicht mehr wahrnehme. Wohl aber die Anderen. Meine Fingerkuppen sind an ihren Spitzen von einer braun gelben Oberfläche und unter den Fingernägeln, die zu lang sind, bildet sich eine Masse, deren Inhalt mir egal ist, die ich nicht beachte, denn es geht mir um die Sache.
Es ging mir immer schon um die
Sache, um welche war nicht so wichtig. Dabei sein wollte ich. Wir haben stets
viel getrunken und geraucht, meist die „Alte Juwel“. Meine erste Freundin hieß
Jacqueline, die Fleischers Tochter. Sie war blond und liebte Conny, ihren Hund.
Conny war alt und roch wie mein Anorak. Ich mochte ihn.
Ich mag mich. Ich bin intelligent.
Ich habe Abitur, Berufsausbildung mit Abitur. Ich wollte drei Jahre zur Armee,
bin aber wegen Bandscheibenproblemen vorzeitig entlassen worden. In dieser Zeit
begannen das Alkoholproblem und die ersten erotischen Erfahrungen mit Jürgen,
der aussah wie Jürgen Sparwasser. Aber kleiner. Jürgen war kleiner. Genau
genommen sehr klein. So groß wie Denny DeVito.
In Cottbus auf der Ingenieur
Hochschule war ich im FDJ Rat. FDJ Sekretär und endlich Partei. Sie haben mich
schon während der Armee vergessen zu überreden. Nun hatte ich mich selber
vorgeschlagen und es hatte geklappt. Die Zeit der Singe Bewegung begann. Mit
Jürgen war Schluss. Er konnte mich mal. Ich bin doch nicht schwul. Wie sieht
das auch aus vor den Genossen.
Freitags waren wir bowlen. Dort
habe ich zum ersten Mal über jemanden Auskunft gegeben. Über Jürgen meinen
kleinen Freund, der war in Bautzen im Gefängnis. Es handelte sich um
Republikflucht. Das erzählten mir die Genossen, während wir bowlten. Wir waren
zu viert an einer Bahn. Die Bahn sechs war die letzte. Ich habe alles erzählt,
das ich wusste. Ich wusste nie viel, aber ich wusste immer genug. Von nun an
gehörte ich dazu. Wozu? Das war mir egal. Man denkt sich nicht so viel, wenn
man viel tut. Wir trafen uns auf der Bahn sechs, jeden Mittwoch ab 17 Uhr.
Mit 21 war ich bereits zwei Jahre
verheiratet mit Karin, der Krankenschwester. Wir lebten in einer 2 – Raum
Neubauwohnung und fuhren einen Wartburg Tourist. Wir blieben kinderlos. Damals
hatte ich ein mehr, oder weniger heimliches Verhältnis mit einem führenden
Politiker, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte. Mit 22 Jahren wurde ich
dann versetzt. Der Parteiauftrag lautete in Alt Kötzschenbroda die
Lebensmittelverteilung zu koordinieren. Wir verteilten H-Milch, Mocca Fix, und
Leckermäulchen an Freunde, politisch zuverlässige Arbeitskräfte, oder nützliche
Zuträger. Wir belieferten Restaurants, Hotels und Gewerbe. Das war eine schöne
Zeit. Sicher die schönste meines Lebens. Es ging uns gut und wir hatten alles,
was wir wollten. Ich lebte mit Karin und Kinderlos. Ich betrog Karin mit der
Partei und Michael, dem damaligen Jungbürgermeister und Leiter des Ortsamtes
Radebeul.
Alles nicht Erklärbare ist mir
suspekt. Hinter Doppeldeutigkeiten verbergen sich Spitzen und gemeine Gefahren.
Ein gewisses Hotel „Ilona“, alt und baufällig, war mir immer ein Dorn im Auge.
Es gab Versammlungen, Kultur, Bands, Ruhestörungen, zweideutige Gestalten
und Theater. Wir waren in regem Kontakt mit unseren Mitarbeitern, die entweder
als Lift Boy arbeiteten, oder nur an der Bar saßen. Mein liebster und
persönlichster Feind war eine gewisse Ilona. Sie trug den Namen ihrer
Großmutter, die zusammen mit ihrem Ehemann das Hotel um die Jahrhundertwende
erbauten. Durch ihre Brille erkannte ich nie ihre Augen. Ihr stets strenger und
unbeweglicher Blick verriet keinerlei Regung. Dabei konnte sie lachen, wenn sie
wollte. Sie lachte dann so, dass es unangenehm wurde, dass man den Raum verließ
und nie wiederkam. Trotzdem war ihr Hotel nicht gerade leer. Sie
war so eine, mit der einer wie ich nicht gerne alleine war. Ich nannte sie
heimlich Schwarzwurzel. Die „strenge Schwarzwurzel.“
Ich belieferte sie damals
vorsätzlich mit Kohl und Kartoffeln, sie sollte in Rotkohl ersticken. Keine
H-Milch, keine Südfrüchte, oder Papiertaschentücher. Kein gutes Spee,
sondern ätzendes IMI, keine Schokoküsse, kein Nudossi, kein Tomatenketchup. Im
ganzen Umkreis gab es keine Lizenz Schallplatten, ich wusste, sie liebt Roger
Whitaker.
Ich habe es mir angewöhnt über
Unwesentliches hinwegzusehen, weil es den Blick nach vorne verstellt und weil
es aufhält. Das Leben ist ausgerichtet zum Licht. Nie habe ich mich dafür
geschämt, dass ich zum Licht gelaufen bin, wenn es in meinem Umfeld dunkel
wurde. Nur einmal nach der Wende bin ich schwach geworden, als ich meinen
Vornamen ändern lassen wollte. Al wollte ich heißen. Al kommt von Alan. Al
Kleinert wollte ich heißen. Wer Al Pacino auf VHS Kassette gesehen hat, kann
nur Al heißen wollen. Ja, Al Kleinert hatte ich meinen Eltern offenbart zu
Weihnachten 1990. „Die neue Zeit sucht neue Namen“ und ein Blick meines Vaters
ersparte mir weiteres Nachdenken. Mein Vater war ein stiller Mensch.
Die neue Zeit viel mir
leicht.
Man muss aufpassen, aber das tat
ich seit ich denken konnte. Mir gelingt es stundenlang, manchmal tagelang nicht
zu sprechen. Karin leidet dann sehr, sie weiß mich zu nehmen. Ich mache mir
einen Spaß daraus die Fehler der anderen zu sammeln. Ja ich warte auf die
Fehler der anderen. Ich rieche Ihre Strategien, um sie zu aufzudecken. Meine
Energie ist die, des kürzesten Weges zwischen zwei Punkten. Die Menschen sind
zu moralisch und deshalb umständlich. Aber die neue Zeit war
unmissverständlich: es ging um Geld.
Dass man mich nicht mag, tut
mir nicht weh. Ich kenne Al. Er und ich sind Freunde. Nachts sehe ich ihn
auf VHS. Dann hole ich die CZ 45 raus, eine 6,35mm Pistole aus NVA Zeiten und
halte hinter der Gardine stehend auf Passanten die aus dem „Goldenen Anker“
treten. Eines Tages drücke ich ab.
©AM2009