21.11.09

Mein Name ist: Lutz–Uwe Kleinert


Bei der Entwicklung einer Theaterfigur, einer "Rolle", ist es  manchmal hilfreich seine Gedanken aufzuschreiben. So bekommen die Bilder, die man nur wage im Kopf hat, eine Kontur. Während der Stückentwicklung für die neue Uraufführung von Franz Wittenbrinks Lobbyisten schrieb ich die folgende Biografie in mein kleines rotes Notizbuch:

Mein Name ist: Lutz – Uwe Kleinert.


Ich bin 46 Jahre und habe einen leichten, meist stark riechenden Achselschweiß dessen stechenden Geruch ich nicht mehr wahrnehme. Wohl aber die Anderen. Meine Fingerkuppen sind an ihren Spitzen von einer braun gelben Oberfläche und unter den Fingernägeln, die zu lang sind, bildet sich eine Masse, deren Inhalt mir egal ist, die ich nicht beachte, denn es geht mir um die Sache.

Es ging mir immer schon um die Sache, um welche war nicht so wichtig. Dabei sein wollte ich. Wir haben stets viel getrunken und geraucht, meist die „Alte Juwel“. Meine erste Freundin hieß Jacqueline, die Fleischers Tochter. Sie war blond und liebte Conny, ihren Hund. Conny war alt und roch wie mein Anorak. Ich mochte ihn.

Ich mag mich. Ich bin intelligent. Ich habe Abitur, Berufsausbildung mit Abitur. Ich wollte drei Jahre zur Armee, bin aber wegen Bandscheibenproblemen vorzeitig entlassen worden. In dieser Zeit begannen das Alkoholproblem und die ersten erotischen Erfahrungen mit Jürgen, der aussah wie Jürgen Sparwasser. Aber kleiner. Jürgen war kleiner. Genau genommen sehr klein. So groß wie Denny DeVito.

In Cottbus auf der Ingenieur Hochschule war ich im FDJ Rat. FDJ Sekretär und endlich Partei. Sie haben mich schon während der Armee vergessen zu überreden. Nun hatte ich mich selber vorgeschlagen und es hatte geklappt. Die Zeit der Singe Bewegung begann. Mit Jürgen war Schluss. Er konnte mich mal. Ich bin doch nicht schwul. Wie sieht das auch aus vor den Genossen.

Freitags waren wir bowlen. Dort habe ich zum ersten Mal über jemanden Auskunft gegeben. Über Jürgen meinen kleinen Freund, der war in Bautzen im Gefängnis. Es handelte sich um Republikflucht. Das erzählten mir die Genossen, während wir bowlten. Wir waren zu viert an einer Bahn. Die Bahn sechs war die letzte. Ich habe alles erzählt, das ich wusste. Ich wusste nie viel, aber ich wusste immer genug. Von nun an gehörte ich dazu. Wozu? Das war mir egal. Man denkt sich nicht so viel, wenn man viel tut. Wir trafen uns auf der Bahn sechs, jeden Mittwoch ab 17 Uhr.

Mit 21 war ich bereits zwei Jahre verheiratet mit Karin, der Krankenschwester. Wir lebten in einer 2 – Raum Neubauwohnung und fuhren einen Wartburg Tourist. Wir blieben kinderlos. Damals hatte ich ein mehr, oder weniger heimliches Verhältnis mit einem führenden Politiker, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte. Mit 22 Jahren wurde ich dann versetzt. Der Parteiauftrag lautete in Alt Kötzschenbroda die Lebensmittelverteilung zu koordinieren. Wir verteilten H-Milch, Mocca Fix, und Leckermäulchen an Freunde, politisch zuverlässige Arbeitskräfte, oder nützliche Zuträger. Wir belieferten Restaurants, Hotels und Gewerbe. Das war eine schöne Zeit. Sicher die schönste meines Lebens. Es ging uns gut und wir hatten alles, was wir wollten. Ich lebte mit Karin und Kinderlos. Ich betrog Karin mit der Partei und Michael, dem damaligen Jungbürgermeister und Leiter des Ortsamtes Radebeul.

Alles nicht Erklärbare ist mir suspekt. Hinter Doppeldeutigkeiten verbergen sich Spitzen und gemeine Gefahren. Ein gewisses Hotel „Ilona“, alt und baufällig, war mir immer ein Dorn im Auge. Es gab Versammlungen, Kultur, Bands, Ruhestörungen,  zweideutige Gestalten und Theater. Wir waren in regem Kontakt mit unseren Mitarbeitern, die entweder als Lift Boy arbeiteten, oder nur an der Bar saßen. Mein liebster und persönlichster Feind war eine gewisse Ilona. Sie trug den Namen ihrer Großmutter, die zusammen mit ihrem Ehemann das Hotel um die Jahrhundertwende erbauten. Durch ihre Brille erkannte ich nie ihre Augen. Ihr stets strenger und unbeweglicher Blick verriet keinerlei Regung. Dabei konnte sie lachen, wenn sie wollte. Sie lachte dann so, dass es unangenehm wurde, dass man den Raum verließ und nie  wiederkam. Trotzdem war ihr Hotel nicht gerade leer.  Sie war so eine, mit der einer wie ich nicht gerne alleine war. Ich nannte sie heimlich Schwarzwurzel. Die „strenge Schwarzwurzel.“

Ich belieferte sie damals vorsätzlich mit Kohl und Kartoffeln, sie sollte in Rotkohl ersticken. Keine H-Milch, keine Südfrüchte, oder Papiertaschentücher. Kein gutes Spee, sondern ätzendes IMI, keine Schokoküsse, kein Nudossi, kein Tomatenketchup. Im ganzen Umkreis gab es keine Lizenz Schallplatten, ich wusste, sie liebt Roger Whitaker.

Ich habe es mir angewöhnt über Unwesentliches hinwegzusehen, weil es den Blick nach vorne verstellt und weil es aufhält. Das Leben ist ausgerichtet zum Licht. Nie habe ich mich dafür geschämt, dass ich zum Licht gelaufen bin, wenn es in meinem Umfeld dunkel wurde. Nur einmal nach der Wende bin ich  schwach geworden, als ich meinen Vornamen ändern lassen wollte. Al wollte ich heißen. Al kommt von Alan. Al Kleinert wollte ich heißen. Wer Al Pacino auf VHS Kassette gesehen hat, kann nur Al heißen wollen. Ja, Al Kleinert hatte ich meinen Eltern offenbart zu Weihnachten 1990. „Die neue Zeit sucht neue Namen“ und ein Blick meines Vaters ersparte mir weiteres Nachdenken. Mein Vater war ein stiller Mensch.

Die neue Zeit viel mir  leicht.

Man muss aufpassen, aber das tat ich seit ich denken konnte. Mir gelingt es stundenlang, manchmal tagelang nicht zu sprechen. Karin leidet dann sehr, sie weiß mich zu nehmen. Ich mache mir einen Spaß daraus die Fehler der anderen zu sammeln. Ja ich warte auf die Fehler der anderen. Ich rieche Ihre Strategien, um sie zu aufzudecken. Meine Energie ist die, des kürzesten Weges zwischen zwei Punkten. Die Menschen sind zu moralisch und deshalb umständlich. Aber die neue Zeit war unmissverständlich: es ging um Geld.

Dass man mich nicht mag, tut mir  nicht weh. Ich kenne Al. Er und ich sind Freunde. Nachts sehe ich ihn auf VHS. Dann hole ich die CZ 45 raus, eine 6,35mm Pistole aus NVA Zeiten und halte hinter der Gardine stehend auf Passanten die aus dem „Goldenen Anker“ treten. Eines Tages drücke ich ab.




©AM2009