22.10.10

Wie sehen Sie die Zukunft des Schauspieltheaters? - Interview


Was wissen Sie vom Staatsschauspiel Dresden bzw. wie können Sie  in wenigen Sätzen seine erlebte Geschichte reflektieren? 

Dieses Haus wurde vor fast hundert Jahren errichtet und vor fünfundsechzig Jahren fast völlig zerstört. Es wurde wieder aufgebaut, rekonstruiert, modernisiert, umgestaltet, hat politische und bauliche Wandlungen vollzogen, war Musentempel und Propagandastätte. Das Staatsschauspiel Dresden stand im Rampenlicht und war das fünfte Rad am Wagen. Es hat all die Zeiten durchlebt und dabei nie seine Aura verloren.

Foto: Matthias Horn


Was führte Sie dazu, an diesem Theater anzuheuern? 

Dresdens besonderer Ensemblegeist geisterte durch die DDR. Man sprach von außergewöhnlichen Regisseuren, man sprach von außergewöhnlichen Schauspielern.

Wie sehen Sie die Zukunft des Schauspieltheaters? 

Das Leben ist die Pflicht, das Träumen die Kür. Je enger unser Zeitmaß wird, je wichtiger wir uns nehmen, je mehr wir uns überschätzen, umso wichtiger wird der Spieler, der Zeit und Raum außer Kraft setzen kann. Er ist der Sauerstoff gegen Atemnot, die schnelle medizinische Hilfe mit Langzeitwirkung. Durch das Spiel des Schauspielers auf einer Bühne, einen Meter über der Wirklichkeit, sieht der Zuschauer in einen Spiegel. In diesem Spiegelbild sieht er sich selbst – nur anders, befreit von der alltäglichen Schwerkraft.

Was kann Theater erreichen?

Der Wert liegt in der direkten Begegnung zwischen Spieler und Zuschauer. Es ist die Intimität, die Einmaligkeit eines gemeinsamen Augenblicks.

Wie würden Sie Ihren Darstellertyp beschreiben? 

Meine Töchter beschweren sich, dass ich zu oft die Bösen spiele, dabei bin ich doch eigentlich lieb ...
Wie tanken Sie auf, wie machen Sie sich fit für Ihre Rollen? 

Ich fahre Fahrrad. Wenn ich den Anstieg durch die Dresdner Heide nach Hause fahre, stelle ich mir links und rechts feiernde Menschen vor, die mich anfeuern, denn in meinem Traum fahre ich als „Ausreißer“, weit vor dem Hauptfeld der "Tour de France", die dieses Jahr durch Bühlau führt.
WelchesBild haben Sie von der Stadt und vom Dresdner Publikum? 

Der Dresdner ist ein Phänomen: Er liebt seine Stadt wie sich selbst und genügt sich selbst, solange genug davon da ist. Er ist skeptisch, aber interessiert, was er tut, tut er mit Liebe. Manchmal gerät er in einen Konfliktschlaf. Wiedererwacht überrascht er durch Herz und Leidenschaft. Das Dresdner Publikum ist ein Partner, seine Treue und seine Sorgfalt hat mir durch manches Nadelöhr geholfen.
Wie gehen Sie mit Kritik um?

Mit der Kritik ist das so eine Sache. Einerseits brauchst du sie, um in der Arbeit voran zu kommen, andererseits kann sie auch verletzen und lähmen. Wenn du einen Schauspieler kritisierst, kannst du ja Produkt und Körper nicht trennen. Alles hängt zusammen. Du brauchst als Schauspieler also eine Elefantenhaut mit der Durchlässigkeit eines Siebes.

Wie unterscheidet sich für Sie die Arbeit an unbekannten bzw. neuen Stücken und an „klassischen Repertoirestücken“? 

Der Unterschied ist gar nicht so groß. Das Theater schöpft seine Kraft aus der Unmittelbarkeit. Jeder Stoff wird im Moment der Probe neu gedacht und umgewandelt. Dabei ist es ziemlich egal aus welcher Zeit der Stoff kommt. Manchmal bleibt mir das Bekannte unbekannt und das Unbekannte glaube ich schon lange zu kennen. Wenn ein Theaterstück aber nur zum Spielanlass degradiert wird, dann denke ich, es könnte auch „Dresdner Allerlei“ heißen. Ich habe mir abgewöhnt zu urteilen, das macht den Magen bitter und nimmt mir den Humor. - Theater muss in jedem Fall ein Wagnis eingehen.

Ist die Redewendung von der „Kultur als Überlebensmittel“ für Sie Pathos, Unsinn oder doch Vision? 

Die Kultur ist für mich der Sinn des Lebens.

Welchen Titel trägt das Theaterstück, das es noch nicht gibt, das aber dringend geschrieben werden müsste? 

Haben sie mal über die Stille nachgedacht? Ich würde ein Theaterstück über die Stille schreiben. Wir reden zu viel. Es gibt zu viele Worte für zu wenig Sinn, zu viele Mitteilungen für Unwichtiges. Wir verklausulieren uns in Bemerkungen, Vermerke, Besprechungen und Fußnoten. Ich habe den Verdacht, wir reden uns um Kopf und Kragen. Wir reden zu viel. Ich sowieso ...


Interview mit der "Dresdner Neuste Nachrichten" zum 100jährigen Bestehen des Schauspielhauses Dresden